Versammlungsrecht: Wenn Sachsen Regeln fürs Demonstrieren ändert

Bis 2021 wollte die Kenia-Koalition das Versammlungsrecht novellieren. Eigentlich. Zwei Jahre später liegt zumindest der Referentenentwurf der Regierung vor. Sorgt er für Harmonie – oder für Ärger mit der Protestszene?

Der Innenminister nennt Sachsen ein „sehr versammlungsfreundliches Bundesland“. Erst an diesem Montag habe es landesweit 47 Demonstrationen mit zusammen 3175 Teilnehmern gegeben. In der Vergangenheit seien montags schon mal 30.000 Menschen auf 90 Versammlungen gezählt worden. Das Allzeithoch sei zwar längst Geschichte, normal seien aber immer noch inzwischen 35 und 50 Versammlungen mit zusammen 2500 bis 5000 Teilnehmern, führt Armin Schuster (CDU) weiter aus. „In kaum einem anderen Bundesland finden mehr Aufzüge und Kundgebungen statt, um sich am politischen Diskurs zu beteiligen, als im Freistaat Sachsen.“ Darauf, so stellt es zumindest Schuster dar, reagiere die Regierung nun mit einem „völlig neuen Versammlungsgesetz“ – das eben nicht nur das alte repariere, sondern auf der Höhe der Zeit sei.Drei Jahre später als versprochen

Tatsächlich hatten CDU, Grüne und SPD in ihrem Koalitionsvertrag Ende 2019 angekündigt, das Versammlungsrecht „bis 2021 praxisgerechter und verständlicher“ zu gestalten und sich dafür am Musterentwurf des Arbeitskreises Versammlungsrecht aus dem Jahr 2010 zu orientieren. (https://beckassets.blob.core.windows.net/product/readingsample/854171/arbeitskreis-versammlungsrecht-musterentwurf-versammlungsgesetzes-me-versg-9783406612725.pdf) Für die Verspätung des Zieldatums um stattliche drei Jahre – nach der Freigabe des Referentenentwurfs steht zunächst die kabinettsinterne Anhörung an, womit der Landtag erst 2024 entscheiden wird – kann Schuster nichts, schließlich gehört er selbst erst seit Frühjahr 2022 dem sächsischen Kabinett an.

Zumindest inhaltlich will er das Versprechen von 2019 aber einlösen, daran lässt er am Dienstag keinen Zweifel – und auch nicht daran, dass die Wahrnehmung des Grundrechts nicht erschwert, sondern erleichtert werden solle.

Problem fehlende Versammlungsleitung

Als Beleg dafür und als Lehre aus sogenannten Spaziergängen gegen Corona-Einschränkungen führt Schuster die Aufhebung der bisher zwingend vorgeschriebenen Existenz einer Versammlungsleitung an. Dass Versammlungen auch ohne Leitung zulässig sind, entspricht indes bereits der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Künftig sollen die Teilnehmer einen Leiter aus ihrer Mitte bestimmen können. Gelinge das nicht, soll daraus keine Auflösung der Versammlung folgen, sondern eine Regelung des Ablaufs durch die Behörden. „Ziel muss immer sein, dass die Menschen ihr grundgesetzlich verbrieftes Recht in Anspruch nehmen können“, sagt Schuster.

Neues „Störungsverbot“

Geplant ist nicht nur das Auffüllen der bisherigen Regelungslücke für Aufrufe zu einer Versammlung über das Internet, sondern auch die Festschreibung eines sogenannten Störungsverbots – mit absehbaren Folgen für Gegendemonstrationen. „Es ist verboten, eine Versammlung mit dem Ziel zu stören, deren Durchführung erheblich zu behindern oder zu vereiteln“, heißt es dazu im Paragraf 8 des der „Freien Presse“ vorliegenden Entwurfs. Reine Verhinderungsaktionen seien durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht geschützt, lautet die Begründung.

Klarer als bisher definiert werden sollen zudem Eil- und Spontanversammlungen sowie die Außerachtlassung von Sonn- und Feiertagen bei der Fristberechnung.

Bei Versammlungen mit potenzieller Gefährdungslage sollen die Ordner namentlich benannt werden, um sie vorher in den polizeilichen Auskunftssystemen überprüfen zu können. Dafür gab es bisher keine Regelung. Halten Behörden bestimmte Personen als Ordnungskräfte etwa wegen Straftaten und nicht länger als fünf Jahre zurückliegender Verurteilungen für ungeeignet, müssen Veranstalter für Ersatz sorgen.

Streichung von Völki und Frauenkirche

Ebenfalls neu ist die Streichung bestimmter Orte von „historisch herausragender Bedeutung“, an denen Versammlungen und Aufzüge verboten oder zumindest beschränkt werden können. Im bisherigen Versammlungsgesetz sind das Leipziger Völkerschlachtdenkmal, die Dresdner Frauenkirche und am 13. und 14. Februar darüber hinaus auch die nördliche Altstadt und die südliche innere Neustadt der Landeshauptstadt ausdrücklich erwähnt. Das soll – auch wegen verfassungsrechtlicher Schwierigkeiten – entfallen.

Die Möglichkeit zu Verbot und Beschränkung soll sich künftig auf solche Versammlungen erstrecken, die den öffentlichen Frieden stören und die Würde der Opfer entweder des Nationalsozialismus oder der „kommunistischen Gewalt- und Willkürherrschaft während der sowjetischen Besatzung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR oder der SED-Diktatur“ beeinträchtigen könnten.

„In jeder Phase versammlungsfreundlich“

Gesteigerten Wert will Sachsens CDU-geführtes Innenministerium auch künftig auf die Kooperation zwischen Versammlungsbehörden und Veranstaltern legen.

Schuster spricht „von einem unserer Erfolgsgeheimnisse, warum viele Versammlungen in Sachsen so gut laufen, wie sie laufen“. Verfügten die Behörden über genügend Informationen, so habe das „in aller, aller Regel begünstigende Auswirkungen für den Versammlungsleiter“. Im Referentenentwurf wird dazu auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen: Danach hätten Behörden „in jeder Phase versammlungsfreundlich“ mit den Veranstaltern zu kooperieren.

Noch in diesem Jahr will das Kabinett den Gesetzentwurf beschließen. Wegen der am 1. September 2024 anstehenden Landtagswahl können sich die Parlamentarier für die Befassung und Verabschiedung im nächsten Jahr nicht allzu viel Zeit lassen.